1. Definition & Kontext: Vom Gesetz zur technischen Realität

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) bildet das fundamentale Regelwerk für die digitale Transformation der deutschen Verwaltung (E-Government). In seiner aktuellen Fassung durch das OZG-Änderungsgesetz (OZG 2.0, in Kraft seit Juli 2024) definiert es verbindliche Standards für die IT-Infrastruktur von Bund, Ländern und Kommunen.

Technologischer Paradigmenwechsel

Mit der Novellierung verschiebt sich der Fokus von der reinen Frontend-Digitalisierung (Online-Formulare) hin zur technischen Durchgängigkeit. Für IT-Verantwortliche ergeben sich daraus folgende bindende Anforderungen:

  • Ende-zu-Ende-Digitalisierung (E2E): Der Gesetzgeber fordert medienbruchfreie Prozesse vom Antrag bis zum Bescheid. Dies erzwingt die Ablösung der Schriftform durch digitale Identitäten (z. B. BundID) und die direkte, maschinenlesbare Anbindung von Fachverfahren.
  • Rechtsanspruch ab 2028:
    Bürger:innen und Unternehmen erhalten einen einklagbaren Anspruch auf den digitalen Zugang zu zentralen Verwaltungsleistungen des Bundes. Dies erhöht die Anforderungen an die
    Systemverfügbarkeit und Resilienz der kommunalen Rechenzentren massiv.
  • Once-Only-Prinzip & Registermodernisierung:
    Daten müssen technisch so vorgehalten werden, dass sie (bei Einwilligung) behördenübergreifend abgerufen werden können. Dies setzt eine interoperable Datenarchitektur voraus.

Kernbotschaft: Durch das OZG-Änderungsgesetz transformiert das Onlinezugangsgesetz die Verwaltung von einer antragsbasierten Aktenbearbeitung hin zu einer datenzentrierten Service-Plattform.

2. Die Herausforderung: Medienbrüche und Backend-Integration

Hand aufs Herz: Ein schickes Online-Formular macht noch keine digitale Verwaltung. Die größte Hürde der OZG-Umsetzung liegt nicht im sichtbaren Bereich (Frontend), sondern im Backend der Verwaltung.

Das Phänomen der "Schaufenster-Digitalisierung"

Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) kritisierte in der Vergangenheit oft die "digitale Fassade": Um das Onlinezugangsgesetz umzusetzen, werden Daten online erfasst, aber analog weiterverarbeitet. Das technische Kernproblem ist der Medienbruch:

  1. Digitale Eingabe: Strukturierte Daten (JSON/XML) im Portal.
  2. Analoge Lücke: Konvertierung in unstrukturierte Formate (PDF/Papier/E-Mail).
  3. Manuelle Übertragung: Händische Eingabe ("Abtippen") in das Fachverfahren.
Diese manuellen Brücken binden unnötig Personalressourcen und verhindern automatisierte Status-Updates an die Antragstellenden.
2025 Die Evolution der Anforderungen OZG

Realitätscheck: Silo-Datenhaltung in Legacy-Systemen

IT-Leiter:innen stehen vor einer historisch gewachsenen, extrem heterogenen Systemlandschaft:

  • Monolithische Fachverfahren: Tausende spezialisierte Anwendungen (z. B. für Meldewesen, Kfz, Bau) oft ohne moderne API-Schnittstellen.
  • Daten-Silos: Informationen sind in proprietären Datenbanken isoliert und für die Registermodernisierung
    schwer zugänglich.

Die Konsequenz: Die IT-Strategie von beispielsweise Kommunen muss sich vom reinen Hardware-Betrieb hin zum aktiven Schnittstellenmanagement (API-Management) entwickeln, wenn diese das Onlinezugangsgesetz adäquat umsetzen wollen.

3. Lösungsarchitektur: Standards, EfA und Middleware

Um Silos aufzubrechen und OZG-konform zu agieren, ist eine Abkehr von Punkt-zu-Punkt-Verbindungen notwendig. Eine zukunftsfähige IT-Architektur basiert auf drei Säulen:

1. Standards als gemeinsame Sprache (XÖV & FIM)

Interoperabilität erfordert Normen. Das OZG 2.0 schreibt die Nutzung offener Standards vor:

  • XÖV (XML in der öffentlichen Verwaltung): Definiert die technische Struktur des Datensatzes.
  • FIM (Föderales Informationsmanagement): Definiert die inhaltlichen Datenfelder (Stammdaten). Vorteil:Verhindert Vendor Lock-in (Abhängigkeit von Einzelherstellern).

2. Das EfA-Prinzip ("Einer für Alle")

Statt 11.000 Einzellösungen nutzt die Verwaltung zentral entwickelte Online-Dienste ("Einer entwickelt, alle nutzen").
Die technische Herausforderung: Kommunale Rechenzentren müssen Daten von landesweiten oder bundesweiten Portalen empfangen und in die lokale Infrastruktur routen ("Routing-Dienste").

3. Der "Klebstoff": Die Integrationsschicht (Middleware)

Wie gelingt die Anbindung moderner Portale an ältere Fachverfahren ohne API? Die Antwort ist eine zentrale
Integrationsplattform (Low-Code/Middleware).

Sie fungiert als intelligenter Dolmetscher:

  • Transformation: Wandelt XÖV-Daten vom Portal in das spezifische Importformat des Fachverfahrens um (z. B. CSV, REST, SOAP oder kontrollierte Datenbank-Zugriffe).
  • Entkopplung: Änderungen am Portal (Frontend) erfordern keinen Umbau des Fachverfahrens (Backend).
  • Orchestrierung: Verteilt Daten prozessgesteuert an mehrere Zielsysteme (z. B. Bauamt + Kassenzeichen an die Finanzsoftware).
2025 Lösungsarchitektur OZG

4. Mehrwert: OZG als Treiber für Digitalisierung & Prozessautomatisierung

Wird das OZG nicht nur als gesetzliche Pflicht, sondern als technischer Hebel verstanden, eröffnet es enorme Effizienzpotenziale. Durch den Einsatz einer Integrationsplattform wandelt sich die Verwaltung von der Datenerfassung
zur Datenveredelung.


Konkrete Use Cases der Automatisierung

Eine medienbruchfreie OZG-Architektur ermöglicht:

  • Dunkelverarbeitung (Dark Processing): Standardfälle (z. B. einfache Melderegisterauskünfte oder Bewohnerparkausweise) können vom Antrag bis zum Bescheid vollautomatisch durchlaufen.
  • Proaktive Verwaltung:
    Durch vernetzte Register können Leistungen proaktiv angeboten werden (z. B. Kindergeldantrag direkt nach Geburtsbeurkundung), da die Daten bereits im System "bekannt" sind.
  • Ressourcen-Shift: Fachkräfte werden von monotonen Datenerfassungstätigkeiten entlastet und können sich auf komplexe Einzelfallentscheidungen konzentrieren.
Für die IT-Budgetplanung bedeutet dies: Investitionen in Integrations-Server und Middlewareamortisieren sich durch eingesparte Arbeitszeit in den Fachabteilungen.

5. Fazit & Ausblick: Der Weg zur Smart Administration

Das Onlinezugangsgesetz (inklusive OZG-Umsetzungskatalog) setzte den Anfang für eine digitale Verwaltung. Das OZG 2.0 markiert das Ende der digitalen Experimentierphase. Für die öffentliche Verwaltung bedeutet der Rechtsanspruch ab 2028, dass IT-Infrastruktur zur kritischen Basisinfrastruktur wird – vergleichbar mit Strom oder Wasser.

Handlungsempfehlungen für IT-Entscheider:innen:

  1. Inventur machen: Welche Fachverfahren sind "API-ready", welche sind "Legacy"?
  2. Integrationsschicht etablieren:
    Setzen Sie auf eine zentrale Datendrehscheibe statt auf unzählige Einzel-Schnittstellen.
  3. Prozesse vor Tools:
    Digitalisieren Sie keinen schlechten, analogen Prozess. Nutzen Sie das OZG, um Workflows neu und medienbruchfrei zu denken.
Die OZG-Umsetzung ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Doch mit der richtigen Architektur (Standards + Middleware) wird aus der gesetzlichen Pflicht eine nachhaltige Modernisierung der Verwaltung.

6. FAQ

Wir beantworten wichtige Fragen rund um das Thema Onlinezugangsgesetz (OZG).

Reicht ein Online-Formular für OZG?

Nein. Ohne medienbruchfreie Verarbeitung im Fachverfahren digitalisieren Sie nur den Eingangskanal.

Was ist die „Turnschuh-Schnittstelle“?

Wenn Daten online erfasst werden, aber per PDF/E-Mail/Copy-Paste manuell ins Fachverfahren wandern.

Wo scheitern OZG-Projekte am häufigsten?

An Backend-Integration + Betrieb: fehlende Schnittstellen, unklare Zuständigkeiten, kein Monitoring/Fehlerhandling.

Was macht EfA in der Praxis schwierig?

Nicht die Maske – sondern Betrieb, Updates, Support und die Übergabe in lokale Fachverfahren.

Brauchen Sie zwingend eine Integrationsschicht?

Sobald mehrere Fachverfahren/Leistungen oder viele Legacy-Systeme im Spiel ist: praktisch ja – sonst entsteht Punkt-zu-Punkt-Wildwuchs.

Welche Integrationswege sind realistisch bei Legacy?

Kontrollierte Import-/Servicepfade (Batch, Dateien, vorhandene Services) plus sauberes Fehlerhandling und Nachvollziehbarkeit.

Was ist ein „Minimum Win“ für die OZG-Umsetzung?

Ein Prozess, der vom Antrag bis zur Rückmeldung ohne manuelle Datenübertragung läuft – inklusive Status/Rückkanal.

Quellen

Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI): Onlinezugangsgesetz. https://www.bmi.bund.de/DE/themen/moderne-verwaltung/verwaltungsmodernisierung/onlinezugangsgesetz/onlinezugangsgesetz-artikel.html, zuletzt aufgerufen am 17.12.2025.

Bundesgesetzblatt: OZG-Änderungsgesetz. BGBl. 2024. https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/245/VO.html. zuletzt abgerufen am 17.12.2025.

IT-Planungsrat. Architekturrichtlinien für die OZG-Umsetzung. https://www.it-planungsrat.de/projekte/ozg-umsetzung. zuletzt abgerufen am 17.12.2025.